Weibliche Perspektiven auf Spaniens Buchbranche – Eine Podiumsdiskussion auf der Frankfurter Buchmesse 2022

Im Jahr 2022 war Spanien das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Daher kam der Kulturverein die Bücherfrauen auf mich zu, und fragte, ob ich eine Podiumsdiskussion für sie auf Spanisch moderieren wollte. Was für eine spannende Herausforderung! Also lud ich drei Spanierinnen ein, um ihre Perspektiven als Frauen auf die Buchbranche ihrer Heimat kennenzulernen. 

Als Referentinnen waren Berna González Harbour, prämierte Schriftstellerin und Journalistin, Caterina Da Lisca, Lektorin und Literaturwissenschaftlerin, und Marta Senent Ramos, Verlegerin und Schriftstellerin, zu Gast. Die Diskussionsrunde wurde ins Deutsche verdolmetscht von Lea Hübner.

Berna González Harbour wurde als Journalistin und Literaturkritikerin in Spanien bekannt. Seit 2012 hat sie insgesamt sechs Romane und ein Sachbuch herausgebracht. Mit ihrem Thriller El sueño de la razón gewann sie den Krimipreis Premio Hammett. Auf Deutsch erschien der Titel als Goyas Ungeheuer im Pendragon Verlag. In diesem wird ein Mordfall mit den Kunstwerken Goyas verwoben. Die Verwicklungen aus Krimi und Kunstgeschichte mit der Hausbesetzerszene Madrids waren so beliebt, dass Berna daraufhin gebeten wurde, auch ein Sachbuch über Goya zu schreiben. In ihrem neuesten Roman El pozo (noch nicht übersetzt) beschreibt sie, wie ein Kind in einen Brunnen fällt und dort tagelang überlebt. Dabei fällt auch die Berichterstattung des spanischen, sensationsgierigen Journalismus – und zwar immer tiefer im Niveau.

Berna González Harbour
Caterina Da Lisca

Die in Barcelona lebende Caterina Da Lisca hat in vergleichender Literaturwissenschaft promoviert. Sie war bereits als Lektorin, Übersetzerin und Literaturagentin für Kinder- und Jugendbücher tätig. Heute ist sie Lektorin und akademische Bereichsleiterin des Verlags Gedisa, einem der wichtigsten Sachbuch-Verlage in Spanien und Lateinamerika. Für das Bureau international de l’Edition française führt sie aktuell eine Studie zur Verlagswelt Spaniens durch.

Marta Senent Ramos hat über die Darstellung von Menschen mit Behinderungen in der Kunst promoviert, wobei sie die Bezeichnung „funktionale Diversität“ bevorzugt. Als sie ihre Arbeit veröffentlichen wollte, interessierte sich kein Verlag für das Thema. Kurzerhand gründete sie 2010 ihren eigenen Verlag Acen, den sie bis heute leitet. Bei den über 250 Titeln, die dort bereits erschienen sind, arbeitet sie insbesondere mit Neuautor*innen zusammen. Regelmäßig kooperiert sie in ihrer Arbeit mit sozialen Einrichtungen. Als selbst funktional diverse Person brachte sie 2016 den Roman Ana te presta su espejo (noch nicht übersetzt) heraus, welcher aus der Sicht einer funktional diversen Frau erzählt wird. Später schrieb sie ein Kinderbuch mit der gleichen Protagonistin.

Marta Senent Ramos

Während der Podiumsdiskussion gab Caterina zunächst einen allgemeinen Blick auf die spanische Verlagswelt. Die berühmte gläserne Decke sei auch in Spaniens Buchbranche bekannt: Zwar arbeiten allgemein mehr Frauen als Männer in der Branche, auf Führungspositionen sind aber fast nur Männer vertreten. Im Verlauf ihrer eigenen Berufslaufbahn sei ihr insbesondere aufgefallen, dass in den Kinder- und Jugendbüchern, gerade im Bereich Graphic Novel, viele Autorinnen erfolgreich publizieren. Im Bereich Sachbuch sehe die Situation in Spanien allerdings anders aus. Hier seien Autorinnen vor allem in den Bereichen Selbsthilfe, Kindererziehung, praktische Ratgeber und allgemeine Psychologie zu finden; im Bereich der Human- und Sozialwissenschaften sowie der Geisteswissenschaften seien sie noch rar gesät. Doch der Gedisa Verlag arbeite an einem Paradigmenwechsel.

Berna erklärte dazu, dass sie als Literaturkritikerin und Krimiautorin einen Wandel in Spaniens Buchbranche wahrgenommen habe. Bereits vor zehn Jahren gab es mehr Schriftstellerinnen als Schriftsteller, doch sichtbar waren sie kaum. Schließlich wurden zu den Literaturfestspielen ausschließlich männliche Kollegen eingeladen. Gremien für Literaturpreise bestanden aus Männern, und auffällig viele männliche Autoren wurden prämiert. Um das zu ändern, setzte Berna sich mit Kolleginnen für mehr Sichtbarkeit weiblicher Autorinnen ein. Inzwischen habe sich die Situation verändert. Vor zehn Jahren noch schrieben viele Autorinnen unter männlichem Pseudonym, um größere Erfolgschancen auf dem Markt zu haben. Heutzutage habe Berna dagegen von männlichen Autoren gehört, die unter weiblichem Pseudonym schreiben. Dabei wünscht sie sich, dass ganz einfach Frauen ohne Pseudonym erfolgreich schreiben können.

Auch inhaltlich versucht Berna in ihren Romanen bewusst Gender-Stereotypen aufzudecken. In der Kriminalliteratur sehe sie Frauen entweder in der Rolle der schwachen Figur, die beschützt werden muss, oder als schuldige „Femme Fatale“. Da sie sich hier nicht repräsentiert fühlt, schreibt sie ihre Thriller-Reihe bewusst aus der Sicht einer weiblichen Kommissarin, die die Mordfälle mit einem Team aus Polizist*innen und befreundeten Journalist*innen löst. 

Als funktional diverse Frau gab Marta während der Podiumsdiskussion zu bedenken, dass sie doppelt benachteiligt sei, mit doppeltem Stigma besetzt: als Frau und als Mensch mit „Behinderung“. Daher sei es ihr umso wichtiger, durch ihren Verlag beiden Sichtweisen eine Stimme zu verleihen. So verlege sie besonders gern Bücher mit Gender-Aspekten. Auch sie selbst thematisiert Gender-Fragen in ihren Romanen. Dann jedoch immer als Unterkapitel. Denn ihre Bücher sollen nicht den Stempel eines „Gender“-Buches tragen, da sie noch viele weitere Themen ansprechen möchte. In einem ihrer Romane schreibe sie beispielsweise, dass eine Protagonistin ein Kind bekommt, allerdings ihre Karriere direkt weiterverfolgen möchte. Als die Frage aufgeworfen wird, ob der Partner in Vaterschaftsurlaub gehen soll, um das Kind zu versorgen, wird plötzlich von allen Seiten heiß darüber debattiert. 

Und wie sieht es im realen Leben der Referentinnen aus? 

Im spanischen Sprachraum gibt es die Redewendung: Im Leben solle man einen Baum pflanzen, ein Kind großziehen und ein Buch schreiben. Auf die Frage hin, wie sich Karriere und Familie in der spanischen Buchbranche vereinbaren lassen, sind die drei Referentinnen sich einig: Sie müssen jonglieren. Kinder und Karriere unter einen Hut zu bekommen sei möglich, aber oft müsse dadurch die Freizeit komplett aufgeopfert werden. „Man muss lernen können, gut zu streiten“, gibt Caterina lächelnd zu bedenken, „damit man zur Buchmesse nach Frankfurt anreisen kann, während der Partner zuhause die Kinder versorgt.“ 

Bei so spannenden Frauen in der spanischen Buchbranche bin ich gespannt darauf, wie die nächsten Jahre dort aussehen werden.

Meinen herzlichen Dank an die drei Referentinnen, die uns diese spannenden Einblicke gegeben haben. Ganz herzlichen Dank auch an die Bücherfrauen, insbesondere an Marianne Eppelt und Verena Schmidt für das Ermöglichen der Podiumsdiskussion. Auch möchte ich Lea Hübner für die tatkräftige Unterstützung vor Ort und die sehr gute Verdolmetschung danken. Außerdem noch meinen Dank an Saskia von Hoegen, über die ich Berna González Harbour kennenlernen durfte.

Lea Hübner

Dieser Artikel erschien auch auf dem Blog der Bücherfrauen.

Bildquelle: Alle Fotos: © privat. Fotos der Podiumsdiskussion von Verena Schmidt

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